1. Von der Scholle in die Welt
Stellen Sie sich vor, Sie holen morgens frische Karotten vom Bauernhof nebenan – und verwandeln sie abends in ein Gericht mit Miso-Glasur und Sesam. Genau diese Richtung beschreibt der Trend „Glocal“, eine Wortfusion aus „global“ und „local“. Während die Fusion-Küche der 90er-Jahre oft nach dem Motto „Alles mit allem“ funktionierte, verfolgt Glocal ein klares Prinzip: Die Basis bleibt regional und saisonal, der Geschmack bekommt jedoch weltläufige Akzente.
Der Trend spiegelt eine Bewegung weg von der permanenten Verfügbarkeit exotischer Rohwaren hin zu einer bewussteren Frage: Was wächst hier – und wie mache ich daraus etwas Besonderes? Food Trend Reports wie der von Hanni Rützler sprechen bereits von „Local Exotics“, also der Neuentdeckung heimischer Zutaten mithilfe globaler Techniken.
Oder wie es ein Fine-Dining-Küchenchef sinngemäß formulierte: „Früher dachten wir, wir müssten Steinbutt und Hummer einfliegen lassen, um exklusiv zu sein. Heute ist die perfekt gereifte Karotte vom Bauern nebenan, glasiert mit einer selbstgemachten Miso-Paste, der wahre Luxus.“
2. Warum der Gast beides will
Hinter Glocal steckt nicht nur ein kulinarischer Trend, sondern auch ein psychologisches Bedürfnis. Auf der einen Seite suchen Gäste nach Sicherheit: Vertrauen in lokale Erzeuger, Transparenz und Nachhaltigkeit. Das zeigen auch verschiedene Branchen- und Verbraucherumfragen – regelmäßig geben über 70 Prozent der Befragten an, dass Regionalität für sie ein zentrales Kriterium beim Essen ist. Der jährlich erscheinende Ernährungsreport des Bundeslandwirtschaftsministeriums bestätigt diese Haltung immer wieder.
Gleichzeitig wächst die Lust auf Neues. Nach Jahren der pandemiebedingten Einschränkungen wollen viele Gäste wieder reisen – wenn schon nicht mit dem Flugzeug, dann wenigstens mit dem Gaumen. Umami, Schärfe, Säure: internationale Aromen sind dabei kleine Ausflüge in die Ferne. Und wenn diese Erlebnisse ohne schlechtes CO2-Gewissen funktionieren, umso besser.
Trendforscherin Hanni Rützler beschreibt dieses Phänomen als „Glokalisierung des Essens“. Die Sehnsucht nach Vertrautem verbinde sich mit Neugier auf das Fremde – eine logische kulinarische Reaktion auf eine globalisierte, aber gleichzeitig verunsicherte Welt.
3. Die Formel: Wurzeln hier, Flügel dort
Wie gelingt diese Balance im Küchenalltag? Die Grundidee ist simpel: Das Hauptprodukt kommt aus der Region, der Twist aus der Welt.
Beginnen wir mit den klassischen „Local“-Zutaten: Rüben, Kohl, Kartoffeln, heimischer Süßwasserfisch, Wild oder Streuobst. Diese Produkte sind nicht nur zuverlässig verfügbar, sondern auch weniger preissensibel als importierte Frischewaren – ein Vorteil in Zeiten schwankender Lieferketten.
Dazu kommen die globalen Akzente. Besonders beliebt sind Fermentationstechniken: Warum nicht Kimchi aus Weißkohl statt aus Chinakohl herstellen? Oder Miso-Pasten aus lokalem Getreide? Gewürze spielen ebenfalls eine große Rolle – Currypasten, Harissa, Tahini oder Sojasaucen bringen Tiefe, ohne das Grundprodukt zu überdecken.
Zubereitungsarten lassen sich ebenfalls übertragen:
- Ceviche vom Bodensee-Felchen statt vom Pazifikfisch.
- Tacos mit bayerischem Pulled Pork.
- Weißkohl im Stil eines koreanischen „Banchan“.
Wichtig bleibt die Balance. Gute Glocal-Küche erkennt man daran, dass das heimische Produkt klar im Mittelpunkt steht und nicht von einer Flut exotischer Aromen überrollt wird. Schlechte Glocal-Küche hingegen schmeckt, als hätte man einfach Sojasauce über ein beliebiges Gericht gekippt.
4. Best Practice: So schmeckt Glocal
Wie sieht das in der Praxis aus? Einige Beispiele zeigen, wie vielfältig der Trend sein kann – ohne dabei kompliziert zu werden.
Alpen-Sushi: Statt Thunfisch oder Lachs aus Übersee kommen Saibling oder Lachsforelle zum Einsatz. Den klassischen Sushi-Reis ersetzen Dinkelreis oder sogar Graupen. Das Ergebnis wirkt vertraut und dennoch überraschend; ein Gericht, das auch in der alpinen Region glaubwürdig wirkt.
Schwäbische Wan-Tan: Im Grunde sind es Maultaschen – nur mit einer Füllung aus heimischem Hack, verfeinert mit Ingwer und Zitronengras. Die Form bleibt fernöstlich, der Geschmack eine Mischung aus traditionell und modern.
Hummus aus Ackerbohnen oder Erbsen: Kichererbsen werden zunehmend importiert – Ackerbohnen und Erbsen wachsen hingegen schon immer auf hiesigen Feldern. Mit orientalischen Gewürzen und etwas Tahini entsteht ein Hummus, der regionaler kaum sein könnte und trotzdem im Nahen Osten zuhause wirkt.
Viele Food-Trend-Analysen, etwa aus dem Zukunftsinstitut oder Magazinen wie KTCHNrebel, bestätigen die wachsende Beliebtheit solcher hybriden Gerichte.
Ein Gastronom aus dem Casual-Dining-Bereich berichtete: „Unsere Gäste lieben Tacos. Aber statt Avocado aus Übersee nehmen wir Erbsen-Guacamole. Das schmeckt fantastisch, ist ‚glocal‘ und erzählt eine Geschichte.“
5. Storytelling & Marketing
Glocal lebt nicht nur auf dem Teller, sondern auch in der Kommunikation. Eine Speisekarte, die schlicht „Kohlrabi mit Miso“ listet, verschenkt Potenzial. Schreiben Sie lieber: „Kohlrabi vom Hof Müller, glasiert mit hausgemachter Miso-Paste“. So transportieren Sie Herkunft und Handwerk – zwei Faktoren, die heute stark nachgefragt werden.
Wording hilft ebenfalls. Formulierungen wie „Heimat neu entdeckt“ oder „Weltreise mit Zutaten von nebenan“ vermitteln direkt, worum es geht. Gleichzeitig sollten Servicekräfte genau wissen, warum der Kohlrabi plötzlich nach Yuzu duftet und wie das Konzept dahinter funktioniert. Eine kurze interne Schulung reicht oft schon aus, um das Thema glaubwürdig zu transportieren.
Auch Marketingplattformen oder Blog-Beiträge können unterstützen. Eine Recherche über „Gastronomie Trends 2024“ auf Foodnotify oder ein Blick in aktuelle Food Reports gibt Ihrem Team Hintergrundwissen und Inspiration.
6. Fazit & Ausblick
Glocal Dining ist weit mehr als ein kurzfristiger Hype. Es ist eine strategische Antwort auf Nachhaltigkeitsfragen, steigende Preise für importierte Waren und den Wunsch der Gäste nach spannenden, aber authentischen Gerichten. Wer regionale Produkte kreativ neu interpretiert, macht sein Angebot unabhängiger, profilierter und erzählerischer.
In den kommenden Jahren dürfte der Trend weiter wachsen – nicht zuletzt, weil immer mehr Produzenten mit Gastronomen zusammenarbeiten, um traditionelle Sorten oder alte Techniken neu zu beleben. Wenn Sie jetzt beginnen, die Schätze Ihrer Region mit Aromen aus der Welt zu verknüpfen, sind Sie Ihrer Konkurrenz einen Schritt voraus.
Kurz-Check für Ihren Betrieb
- Haben Sie bisher unterschätzte regionale Produkte, die sich mit globalen Techniken spannend inszenieren lassen?
- Nutzen Sie Gewürze oder Pasten, die Tiefe bringen, ohne das Grundprodukt zu überdecken?
- Erzählt Ihre Speisekarte klar, woher das Produkt stammt – und wohin die Geschmacksreise geht?