# Von TikTok auf den Teller: Wenn der Algorithmus die Speisekarte bestimmt
## 1. Der „Feta-Effekt“: Wenn das Internet den Einkauf bestimmt
Stellen Sie sich vor, Sie gehen an einem ruhigen Mittwochmorgen in Ihren Lieblings-Großhandel – und dort, wo sonst Paletten voller Feta stehen, gähnende Leere. Passiert nicht? Doch. 2021 sorgte ein einziges TikTok-Video für einen weltweiten Run auf Feta: Die „Baked Feta Pasta“ wurde zum Meme-Food des Jahres. Auch in Deutschland berichteten Händler von Lieferengpässen. So viel Macht hat ein virales Rezept heute.
Genau dieses Muster wiederholt sich inzwischen regelmäßig. Mal ist es Dalgona-Kaffee, mal Corn Ribs, mal der „Girl Dinner“-Trend. Und ganz aktuell (und je nach Veröffentlichungszeit möglicherweise schon wieder überholt): der „Gurkensalat-Typ“ Logan Moffitt, dessen Videos in Island zeitweise für Knappheit bei Gurken sorgten oder zumindest für explosionsartig steigende Verkaufszahlen. Das Prinzip dahinter ist immer dasselbe: Ein Nutzer zeigt ein Rezept, Millionen machen es nach – und die Nachfrage springt exponentiell an.
Die Plattformlogik spielt dabei eine zentrale Rolle. Inhalte mit Challenge-Charakter verbreiten sich besonders schnell, weil sie leicht nachzuahmen sind. TikTok belohnt kurze, einprägsame Clips, und Meme-Food erfüllt diese Kriterien perfekt.
Wie es **fluter.de** beschreibt, entsteht daraus ein digitales Ökosystem, das reale Lieferketten kräftig durcheinanderwirbeln kann.
Für die Praxis bedeutet das:
Wenn Sie plötzlich feststellen, dass ein bestimmtes Produkt auffällig häufig nachgefragt wird, ist der Grund oft kein Zufall, sondern ein Trend, der gerade auf TikTok viral geht. Ein Gastronom formuliert es so: „Früher haben wir die Karte saisonal gewechselt. Heute fragt der Kellner am Freitag: ‚Chef, hast du gesehen, was auf TikTok trendet? Wir brauchen am Wochenende unbedingt Pistaziencreme!‘“
## 2. TikTok als neue Suchmaschine für Restaurants
Was früher Google Maps war, ist für die Gen Z heute TikTok. Wer wissen will, wo es die beste Ramen-Bowl, das knusprigste Schnitzel oder den verrücktesten Freakshake gibt, sucht direkt in der App – nicht nach Rezensionen, sondern nach Videos. Laut Tillhub Blog hat sich TikTok für viele junge Nutzer zur „neuen Suchmaschine“ entwickelt.
Der Grund ist simpel: Bilder und Videos wirken unmittelbarer als Textbewertungen. Gäste wollen sehen, wie das Essen aussieht, wie es angerichtet wird, wie die Stimmung im Laden ist. „Phone eats first“ ist längst nicht mehr nur ein Meme, sondern Alltag.
Das bedeutet für Restaurants und Hotels zweierlei:
1. **Instagramability ist kein Nice-to-have mehr.**
70 Prozent der Instagram-Nutzer sind unter 35 Jahren (Quelle: FoodNotify). Sie erwarten Gerichte, die „fotogen“ sind – gute Farben, gutes Licht, starke Optik. Nicht statt Geschmack, aber vor dem Geschmack.
2. **FOMO als Geschäftsmodell.**
Geht ein Lokal viral, bilden sich Schlangen. Das kann ein Segen sein – aber der Hype hält oft nur wenige Wochen. Entscheidend ist, wie gut man den kurzfristigen Boost in langfristige Gäste umwandelt.
Ein Marketing-Experte bringt es so auf den Punkt: „Es geht nicht mehr nur darum, dass es schmeckt. Es geht darum, ob das Gericht eine Geschichte erzählt, die in 15 Sekunden Videoformat passt.“
Für Sie heißt das: Wenn Ihr Restaurant auf diesen Plattformen nicht auftaucht, existieren Sie für einen großen Teil der jüngeren Zielgruppe schlicht nicht. Das ist hart – aber realistisch. Investieren Sie also nicht nur in gute Gerichte, sondern auch in ansprechende Short-Form-Visuals.
## 3. Generationen-Clash: Das Ende des „Millennial-Restaurants“
Hand aufs Herz: Servieren Sie Ihren Burger noch auf einer Schieferplatte? Haben Sie irgendwo in Ihrem Lokal eine Glühbirne ohne Lampenschirm hängen? Dann gehören Sie vielleicht zu jenem Gastronomie-Look, über den TikTok gerade herzlich lacht: das „Millennial-Restaurant“.
Videos, in denen User diese Ästhetik parodieren, erzielen Millionen Aufrufe. Der typische Soundtrack dazu? Ein ironischer Pop-Song – verbunden mit Kommentaren wie dem von TikTok-Userin @fairylights2007: „Dieses Lied ist so was von überteuerten Trüffelpommes, Burgern, Backsteinmauern, Metalldose mit Ketchup.“
Das Portal **watson.de** berichtet ausführlich über diesen Trend; **20min.ch** bestätigt ihn.
Warum der Spott? Weil diese Stilrichtung für die Gen Z „cringe“ wirkt – überstylt, unoriginell, austauschbar. Was für Millennials hip war, erscheint den Jüngeren heute künstlich und teuer.
Was sucht die Gen Z stattdessen?
- **„Chaos Cooking“:** Kreative, wild kombinierte Gerichte mit Humor.
- **Bunte, experimentelle Optik:** Essen, das Spaß macht und sich nicht zu ernst nimmt.
- **Radikale Authentizität:** Orte, die wirken, als sei nichts für Instagram inszeniert – und dadurch gerade interessant.
Diese Entwicklung heißt nicht, dass Sie nun Neonfarben und absurd hohe Freakshakes anbieten müssen. Sie bedeutet vielmehr: Junge Gäste erkennen extrem schnell, wenn ein Konzept nur für Social Media gemacht ist. Authentizität wird hart eingefordert – und gnadenlos bewertet.
## 4. Adaptieren oder Ignorieren? Strategien für die Küche
Die große Frage: Mitziehen oder nicht? Trendhopping kann funktionieren, aber nur mit klarem Konzept. Niemand erwartet, dass Sie jeden Monat Ihre gesamte Speisekarte umwerfen. Doch ein klug eingebautes Trend-Gericht kann neue Zielgruppen anlocken.
Bewährt haben sich vor allem **Specials**:
Beispiel: Die virale Croissant-Rolle (Cromboloni) war ein globaler Hype. Viele Betriebe boten sie ein paar Wochen lang als Zusatz an – ohne die Stammkarte anzutasten. Perfekt für alle, die neugierig sind, aber nicht ihre Identität opfern wollen.
Auch Influencer-Produkte spielen eine Rolle. Marken wie „BraTee“ von Capital Bra oder die „Haftbefehl Pizza“ haben Millionenverkäufe erzielt (80 Millionen verkaufte Einheiten BraTee laut fluter.de). Nicht jeder Betrieb sollte diese Produkte führen – aber in Imbissen, Bars oder Hotels mit junger Zielgruppe können solche Artikel durchaus Zusatzumsatz bringen.
Hilfreich sind außerdem:
- **Trend-Scouting:** Einmal pro Woche die relevanten TikTok-Hashtags durchscrollen. Fünf Minuten genügen oft.
- **UGC nutzen:** Schaffen Sie Fotospots, gutes Licht oder eine besondere Anrichteweise, die Gäste freiwillig posten.
- **Ehrliche Kommunikation:** Wenn Sie ein Trend-Gericht auf die Karte setzen, sagen Sie ruhig dazu, dass es ein Wochen-Experiment ist. Das schafft Nähe und nimmt Druck raus.
Das Ziel ist nicht, jedem Trend zu folgen – sondern Trends strategisch und dosiert zu nutzen.
## 5. Fazit: Authentizität im Algorithmus
Viralität ist verführerisch. Sie bringt Reichweite, Gäste, Umsatz. Doch nicht jedes Meme-Food zahlt auf Ihr Konzept ein. Betriebe, die langfristig erfolgreich bleiben wollen, finden die Balance: neugierig bleiben, Trends beobachten, ab und zu ein Hype-Gericht als Special testen – und gleichzeitig die eigene Identität schützen.
Die Leitfrage war: Lohnt sich das Trend-Hopping?
Ja – aber nur dann, wenn es kontrolliert, bewusst und zum Betrieb passend passiert.
Die Dynamik von TikTok und Instagram wird in den kommenden Jahren eher zu- als abnehmen. Wer jetzt beginnt, visuell und digital präsent zu sein, ist seiner Konkurrenz spürbar voraus. Und wenn Sie Trends nutzen, ohne sich ihnen zu unterwerfen, wirkt Ihr Betrieb modern – und bleibt trotzdem authentisch.
### Kurz-Check für Ihren Betrieb
- Wird Ihr Restaurant auf TikTok oder Instagram überhaupt gefunden?
- Haben Sie ein bis zwei Gerichte, die sich gut für Videos oder Fotos eignen?
- Beobachten Sie regelmäßig die relevanten Food-Trends?
- Nutzen Sie Specials, um Hype-Gerichte risikolos zu testen?
- Passt jeder Trend, den Sie mitmachen, zu Ihrem Stil – oder verwässert er ihn?
Technologie
Von TikTok auf den Teller: Wenn der Algorithmus die Speisekarte bestimmt
Egal ob Feta, Pistaziencreme oder die neueste Croissant-Rolle – Social Media bestimmt längst mit, was in vielen Küchen passiert. Viral gehende Gerichte können über Nacht Nachfrageexplosionen auslösen und Gäste in Scharen anziehen. Doch lohnt es sich für Gastronomen wirklich, jedem Trend hinterherzulaufen? Dieser Artikel zeigt, wie Sie zwischen Hype und Handschrift die richtige Linie finden.