1. Die Arena der feinen Nasen
Stellen Sie sich vor, Sie betreten eine Eventhalle mit Stadionakustik. Mehrere Tausend Menschen sitzen gespannt auf den Rängen, Kameras surren, Scheinwerfer brennen. Doch es ist kein Sportler, der gleich antritt – sondern ein Sommelier, Pipette in der einen, Dekantierkaraffe in der anderen Hand. Genau dieses Bild bot sich 2023 in der „Paris La Défense Arena“, als über 4.000 Fans das Finale der ASI Best Sommelier of the World verfolgten. Ein Rahmen, der an Olympia erinnert – nur eben mit Gläsern statt Hanteln.
Der Wettkampf findet alle drei Jahre statt, 2026 wieder. Livestreams erreichen mittlerweile ein weltweites Publikum, Teams aus den Herkunftsländern unterstützen ihre Kandidaten mit Fahnen, T-Shirts und lautstarken Schlachtrufen.
Die Sommelier-Union Deutschland fasst es in ihrem Rückblick auf Paris treffend zusammen: Die Bühne ist ein „emotionaler Hexenkessel“ – und für die Kandidaten gleichzeitig Prüfungssaal, Showbühne und Stresslabor.
(Link: Rückblick der Sommelier-Union DE)
Für die Gastronomie zeigt dieser Event, wie attraktiv und sichtbar das Berufsbild geworden ist. Wer hier performt, setzt Standards, die längst in Restaurants und Hotels ankommen.
2. Mehr als nur Rot oder Weiß
Man könnte meinen, eine WM der Sommeliers drehe sich schlicht um Wein. Tatsächlich ist es eher ein Triathlon aus Sensorik, Service und Strategie – plus einigen Überraschungen.
Bei der Blindverkostung geht es längst nicht mehr nur darum, Rebsorte, Herkunft und Jahrgang zu bestimmen. Die Aufgaben werden immer breiter: Spirituosen, Sake, Tee, manchmal sogar alkoholfreie Infusionen und fermentierte Getränke. Dazu kommt die sogenannte „Chemistry of Taste“, also das analytische Erkennen von Texturen, Süße, Säure, Bitterstoffen oder Reifearomen. Alles natürlich auf Zeit – und meist auf Englisch oder Französisch.
Ebenso herausfordernd: der Service-Part. Hier wird unter realistischen Bedingungen gearbeitet, allerdings mit Schauspielern, die schwierigste Gästesituationen darstellen. Fragen nach veganen Pairings, Beschwerden über Temperatur oder Füllstand, Missverständnisse bei der Bestellung – und das oft parallel zu einer technischen Aufgabe wie dem Dekantieren einer Magnumflasche über Kerze. Der Puls steigt, der Saal schaut zu.
Und die Anforderungen wachsen weiter:
- Alkoholfreie Pairings, besonders Tee- und Saftkombinationen, haben ihren festen Platz.
- Management-Aufgaben sind Teil des Programms: Kalkulation inklusive Margenberechnung, Aufbau eines Kellerinventars oder das Lösen logistischer Probleme während eines fiktiven Service-Abends.
Wer in diesem Umfeld besteht, zeigt Fähigkeiten, die Betriebe zunehmend suchen: Stressfestigkeit, Kommunikation, Organisation – und die Kunst, Gäste zu begeistern, egal ob mit Weissburgunder oder Kombucha.
3. Rückblick & Status Quo: Die Weltspitze
Den aktuellen WM-Titel trägt seit 2023 Raimonds Tomsons aus Lettland – ein Name, den man weltweit mit Präzision, Charme und unerschütterlicher Ruhe verbindet. Hinter ihm auf dem Podium: Nina Jensen aus Dänemark und Reeze Choi aus China. Schon dieser Dreiklang zeigt die enorme Internationalisierung des Berufsstandes.
Ein anderer Name, der in der Szene einen besonderen Klang hat, ist Marc Almert, Weltmeister 2019. Heute prägt er als Mitglied im ASI Education Committee die Ausbildung und Juryarbeit. Viele Nachwuchstalente sehen in ihm das Ideal des modernen Sommeliers: verbindlich, fachlich makellos und gleichzeitig ein Gastgeber mit Herz.
Für Betriebe im deutschsprachigen Raum ist diese Entwicklung spannend: Was früher als Nischenjob galt, ist heute ein globales Kompetenzfeld. Und wer internationale Profis beobachtet, erkennt Trends früh – von neuen Getränkestilen bis zu innovativen Service-Prozessen.
4. Die DACH-Region: Talentschmiede Europas
Während auf der Weltbühne große Namen glänzen, arbeitet die DACH-Region kontinuierlich an ihrem eigenen Top-Nachwuchs – mit beachtlichem Erfolg.
In Deutschland wurde im Oktober 2025 Niklas Breithaupt (Baur au Lac, Zürich) zum „Besten Sommelier Deutschlands“ gekürt. Die Finalaufgaben hatten es in sich: alkoholfreies Bier und Champagner mit perfekter Eleganz servieren, KI-generierte Kunstwerke passenden Weinen zuordnen, komplexe Pairings argumentieren.
„Diese Reise war intensiv, lehrreich und emotional“, sagte Breithaupt nach seinem Sieg. „Ein Moment, den ich nie vergessen werde.“
Yvonne Heistermann, Präsidentin der Sommelier-Union Deutschland, lobte ihn mit den Worten: „Kompetenz, Authentizität und Freude am Wein“ – ein Dreiklang, der heute unverzichtbar scheint.
(Link: Bericht auf blgastro.de)
Auch Österreich hat 2025 ein starkes Zeichen gesetzt: Maximilian Steiner wurde im November in Wien zum „Besten Sommelier Österreichs“ ernannt. Bemerkenswert: Der Wettbewerb wurde erstmals von einer internationalen Jury unter Leitung der lettischen Sommeliervereinigung durchgeführt – ein Novum, das die hohe Qualität und ambitionierte Ausrichtung des Landes unterstreicht.
„Alle haben Unglaubliches geleistet“, so Annemarie Foidl von der Sommelier Union Austria.
(Link: Bericht der Sommelier Union Austria)
Und der Nachwuchs? Auch hier bewegt sich viel: Daniel Sautner wurde 2025 Nachwuchssommelier Deutschlands – ein Signal dafür, wie breit das Fundament der Szene inzwischen ist.
Für die Praxis bedeutet das: Restaurants und Hotels können zunehmend auf qualifizierten, motivierten Nachwuchs zugreifen – vorausgesetzt, sie schaffen Räume zur Weiterentwicklung.
5. Female Power: Frauen an der Spitze
Lange galt die Sommellerie als männerdominiert – doch die Zeiten ändern sich rasant. 2023 stand mit Nina Jensen eine Frau zum zweiten Mal im WM-Finale, eine der präzisesten Sensorikerinnen der Welt. In Deutschland setzen Persönlichkeiten wie Stefanie Hehn, Master Sommelier und Jury-Mitglied, neue Maßstäbe in Ausbildung und Mentoring.
Ebenso prägend ist Yvonne Heistermann, die als erste Frau die Sommelier-Union Deutschland führt. Unter ihrer Präsidentschaft stieg die Sichtbarkeit des Berufsbilds deutlich – und mit ihr auch der weibliche Anteil in Semi- und Finalrunden.
Für Betriebe bedeutet dieser Trend nicht nur mehr Diversität, sondern auch eine größere Auswahl an hochqualifizierten Fachkräften. Und: Junge Talente – ob aus dem Service oder der Bar – finden heute klare Vorbilder.
6. Fazit: Was den Weltklasse-Sommelier heute ausmacht
Die moderne Sommellerie ist ein Mix aus Wissen, Fingerspitzengefühl und Belastbarkeit. Weltklasse-Sommeliers verbinden:
- präzise Sensorik und fundiertes Fachwissen,
- Empathie und Gastgeberqualitäten,
- Stressresistenz und souveränen Umgang mit unerwarteten Situationen.
Wer solche Talente in seinem Betrieb hat oder fördert, gewinnt mehr als nur Expertise im Weinkeller: Er gewinnt eine Haltung, die Gäste begeistert.
Mit Blick auf die WM 2026 dürfte der Wettbewerb weiter an Profil gewinnen – breiter, internationaler, dynamischer. Und wenn Sie jetzt beginnen, interne Tastings zu fördern, junge Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen oder Ihre Getränkekarte mutig weiterzuentwickeln, sind Sie der Konkurrenz schon heute einen Schritt voraus.
Kurz-Check für Ihren Betrieb
- Fördern Sie regelmäßige Tastings und Trainings – auch mit alkoholfreien Getränken.
- Bieten Sie Mitarbeitern Entwicklungspfade Richtung Sommellerie.
- Nutzen Sie Wettbewerbe als Inspiration: von Service-Standards bis Teamkommunikation.
- Beobachten Sie Trends internationaler Sommeliers, um Ihre eigene Karte aktuell zu halten.