1. Das Ende der Dunkelheit
Stellen Sie sich vor, es ist Dienstagmittag, die Sonne fällt durch die Fenster Ihres Gastraums – und die Tische sind voll. Noch vor wenigen Jahren wäre das für viele ambitionierte Betriebe eher die Ausnahme gewesen. Personalengpässe, steigende Kosten und die Fokussierung aufs hochpreisige Abendgeschäft führten zu einer regelrechten „Verwüstung“ des Mittagstischs: gestrichen, eingedampft, ersatzlos gestrichen.
Doch nun wendet sich das Blatt. Hippe Szene-Lokale und sogar Sternerestaurants öffnen wieder tagsüber – und das nicht als Notlösung, sondern als strategisches Geschäftsmodell. Die Gründe dafür sind so vielfältig wie überzeugend: Gäste wollen nicht mehr abends vier Stunden in steifen Settings sitzen. Der Wunsch nach Flexibilität, kürzeren Menüs und spontanen Treffen verschiebt Genuss zunehmend in den Tag.
Für Gastronomen bedeutet das eine Chance, die lange brach gelegene Tageszeit neu zu denken – und wirtschaftlich sinnvoll zu bespielen.
2. Trend „Daytime Dining“ – Essen ohne Anzugspflicht
Wer „Daytime Dining“ sagt, meint eine neue Leichtigkeit. Helles Licht, unkomplizierter Service, Gerichte, die begeistern, ohne zu überfordern. Die moderne Bistro-Küche wird zum Gegenentwurf zum klassischen, ritualisierten Dinner.
Ein Musterbeispiel dieses Stils beschreibt ein Artikel auf Elle.de: „Du hast im Bistro halt das Restaurant-Erlebnis, aber ohne dieses: ‚Oh Gott, verlangen die von mir jetzt, dass ich vier Gänge esse?‘“ sagt André Meier vom Bingo Bistro in München. Genau diese Ungezwungenheit, kombiniert mit Qualität, trifft den Nerv einer Generation, die Genuss nicht mit Dresscode verknüpfen will.
Auch internationale Vorbilder wie das Atelier September in Kopenhagen zeigen, wie attraktiv ein klar designter, ästhetischer Lunch sein kann. Das Motto: „Superlecker, aber nicht überkandidelt.“ Oder wie Ella Sinds vom Bingo Bistro es formuliert: Essen soll ansprechend sein, „aber es darf auch ein bisschen aussehen wie die Wohlfühlküche bei Oma“.
Gäste zwischen 20 und 40, viele davon im Homeoffice, suchen zunehmend genau dieses Setting. Ein Ort für ein schnelles, stilvolles Mittagessen, ein spontanes Treffen oder ein entspanntes Glas Naturwein am Nachmittag. Für Gastronomen eröffnet sich hier ein neues Publikum – und ein zusätzlicher Umsatzblock, der nicht in Konkurrenz zum Abendgeschäft steht, sondern es ergänzt.
3. Fine Dining am Mittag – Spitzenküche zum Einstiegspreis
Auch die gehobene Gastronomie entdeckt die Tageszeiten neu. „Casual Lunch, High-End Dinner“ lautet die Devise, die sich in vielen Metropolen etabliert. Das Prinzip ist simpel: Der Mittag wird zur „Kostprobe“ der Abendküche.
Ein Lunch-Menü für unter 40 Euro – während das Dinner am selben Ort das Doppelte kostet – senkt die Einstiegshürde für neue Gäste erheblich. Viele probieren das Restaurant erstmals mittags aus. Wer überzeugt, kommt abends wieder.
Hinzu kommt ein Trend, der lange als gesellschaftliches Tabu galt: Day Drinking. Ein Glas Champagner oder hochwertiger Wein zum Mittag ist in hippen urbanen Gegenden längst mainstream. Für Gastronomen bedeutet das margenstarke Zusatzumsätze, die den Aufwand des Lunch-Services schnell rechtfertigen.
Ein Beispiel für die strategische Neuausrichtung ist das Netzer in Stuttgart. Laut einem Bericht auf food-service.de wandelte sich das Lokal von einem vielseitigen Ganztages-Konzept zu einem spezialisierten Frühstücks- und Lunchbetrieb. Die Botschaft dahinter: Wer tagsüber stark ist, braucht abends nicht zwingend ein volles Menübrett.
Für Betriebe, die unter Personalmangel leiden, kann das zudem ein Entlastungsmodell sein. Reine Tages-Teams – etwa Eltern oder Studierende – ermöglichen Öffnungszeiten, ohne den Abendbetrieb zu belasten.
4. Der Brunch 2.0 – Tisch statt Buffet
Der klassische Sonntagsbrunch war lange ein zweischneidiges Schwert: Einerseits beliebt, andererseits berüchtigt für Food Waste, angetrocknete Buffets und die gefürchtete „Fresskoma“-Starre. Heute geht der Trend klar in eine andere Richtung.
Der „Tischbrunch“ löst das Buffet ab. Kleine Gerichte, Etageren, Sharing-Prinzip – serviert direkt am Tisch. Das wirkt hochwertiger, schafft mehr Kontrolle über Portionsgrößen und minimiert Lebensmittelreste.
Ein Beispiel liefert das VIVE in Wien, das laut Gastro.news mit seinem „Sunday Special“ erfolgreich auf Tischbrunch plus Lunch à la carte setzt. Gäste empfinden es als entspannter, Gastronomen profitieren von besserer Kalkulation und einem Service-Erlebnis, das höhere Preise leicht rechtfertigt.
Für Hotels, die ihre Frühstücksleistung ohnehin optimiert haben, bietet der Tischbrunch eine elegante Zwischenform: mehr Erlebnis, weniger Aufwand – und eine hervorragende Möglichkeit, Sonntage profitabler zu gestalten.
5. Spontanität vs. Reservierung – Walk-ins gewinnen
Wer mittags essen geht, möchte häufig spontan entscheiden. Reservierungen stören da schnell den Flow. Genau deshalb setzen viele moderne Konzepte auf Walk-ins oder Mischmodelle.
Der Vorteil ist offensichtlich: Keine Reservierungen = keine No-Shows. Das Risiko sinkt auf null. Laut einem Bericht auf food-service.de setzen Restaurants wie Pinci in Berlin oder internationale Klassiker wie das Relais de Venise teilweise komplett auf spontane Gäste.
Natürlich bringt das Herausforderungen mit sich. Warteschlangen müssen gemanagt werden, Wartezeiten sollten kommuniziert oder durch Angebote (Aperitif, kleine Snacks) abgefedert werden. Aber: Eine moderate Schlange vor dem Lokal ist nicht selten das beste Marketing.
Für Gastronomen bietet der Walk-in-Fokus zudem Planbarkeit. Wer ein stabiles Mittagsgeschäft aufbauen will, braucht Auslastung – und genau die entsteht, wenn Spontanität willkommen ist.
Fazit / Ausblick
Lunch und Brunch erleben aus gutem Grund ein Revival. Gäste suchen flexible Genussmomente, weniger steife Rituale und hochwertiges Essen, das alltagstauglich ist. Für Gastronomen wiederum bietet „Daytime Dining“ die Möglichkeit, Flächen besser auszulasten, neue Zielgruppen zu erschließen und wirtschaftlich starke Tageszeiten aufzubauen.
Die Leitfrage – warum Spitzenrestaurants und Trend-Lokale wieder tagsüber öffnen – lässt sich damit klar beantworten: Der Mittag ist kein Kostenfaktor mehr, sondern ein Wachstumsfeld. Die nächsten Jahre dürften diese Entwicklung weiter verstärken. Homeoffice bleibt, Lifestyle-Trends verändern sich langsam – und wer jetzt ein attraktives Tageskonzept entwickelt, liegt klar im Vorteil.
Wenn Sie jetzt prüfen, wie Ihr Betrieb tagsüber wirken könnte, sind Sie Ihrer Konkurrenz einen Schritt voraus.
Kurz-Check für Ihren Betrieb
- Bietet Ihr Raumkonzept genügend Licht und Atmosphäre für einen attraktiven Lunch?
- Könnte ein kleineres, kalkulationssicheres Mittagsmenü neue Gäste anziehen?
- Lohnt sich ein Tischbrunch am Wochenende – statt eines klassischen Buffets?
- Welche Zielgruppe könnten Sie tagsüber erreichen, die abends nicht kommt?
- Und: Könnte ein Walk-in-Anteil Ihre No-Show-Sorgen reduzieren?
(Optionaler Hinweis für die Redaktion: Bildideen siehe Research-Dokument.)