Montag, 15. Dezember 2025 GastroNews – Magazin für Profis
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Das Ende der Planbarkeit? Wie der „Spontan-Gast“ die Reservierungsbücher umkrempelt

Reservierungen Wochen im Voraus? Für viele Gäste wirkt das heute wie ein Relikt aus einer anderen Zeit. Immer mehr entscheiden spontan – und stellen Gastronomen damit vor neue Herausforderungen. Wie Sie als Betreiber zwischen No-Shows, Walk-ins und Zeitfenstern die Balance halten, lesen Sie hier.

1. Der neue Rhythmus: Buchung am selben Tag

Kennen Sie das? Es ist Donnerstagvormittag, der Einkauf für das Wochenende steht an – aber im Reservierungsbuch herrscht gähnende Leere. Und dann, kaum naht der Freitag, füllt sich das System plötzlich im Stundentakt. Dieser neue Buchungsrhythmus ist längst kein Ausnahmefall mehr. Viele Restaurants berichten, dass sich Reservierungen deutlich nach hinten verschieben: Früher war der Samstag schon am Montag dicht, heute entscheiden Gäste nach Lust, Laune und Wetter.

Gründe dafür gibt es viele. Der „Commitment-phobe“-Lebensstil einer jungen, urbanen Zielgruppe gehört genauso dazu wie das riesige gastronomische Angebot in Ballungsräumen. Wer zwischen fünfzig Trend-Bars, Naturwein-Lokalen oder neu eröffneten Casual-Dining-Spots wählen kann, fixiert sich seltener frühzeitig. Dazu kommt ein banaler, aber einflussreicher Faktor: das Wetter. Ein sonniger Spätsommerabend kann die Nachfrage explodieren lassen – oder, im umgekehrten Fall, den ganzen Abend lahmlegen.

Nur die Spitzenklasse bleibt stabil: Sterne-Restaurants oder ikonische Fine-Dining-Adressen sind weiterhin Wochen, teilweise Monate im Voraus ausgebucht. Doch für die breite Mitte – vom ambitionierten Bistro bis zum Szene-Italiener – hat sich das Spiel grundlegend verändert. Kurzfristigkeit ist der neue Standard.

2. Die Angst vor der Leere (und den No-Shows)

Das tückische an dieser Entwicklung: Selbst ein volles Reservierungsbuch garantiert längst keinen vollen Gastraum. No-Shows und sogenanntes „Reservation Ghosting“ belasten die Branche stärker denn je. Viele Gäste reservieren parallel in mehreren Lokalen, um dann spontan zu entscheiden – ohne abzusagen. Für Sie als Betreiber bedeutet das: Ware und Personal sind da, aber der Tisch bleibt leer.

Ein Münchner Gastronom bringt es in einem O-Ton sinngemäß auf den Punkt: „Früher war das Buch am Montag für den Samstag voll. Heute wissen wir am Donnerstagmorgen oft noch nicht, wie viel Personal wir am Samstagabend wirklich brauchen.“ Für die betriebswirtschaftliche Planung ist diese Unschärfe Gift – gerade in Zeiten hoher Kosten.

Jürgen Benad, Rechtsexperte des DEHOGA, sagt in einem Beitrag auf food-service.de treffend: „Es gibt einige Restaurants, die inzwischen ganz bewusst auf Reservierungen verzichten, um sich vor den wirtschaftlichen Folgen von No-shows zu schützen.“ Und tatsächlich reagieren viele Betriebe inzwischen mit schärferen Regeln: Kreditkartenhinterlegung, No-Show-Gebühren oder strengere Stornofristen.

Doch solche Maßnahmen bleiben heikel. Rechtlich müssen sie sauber kommuniziert werden, und das Risiko negativer Online-Bewertungen ist hoch. Kaum ein Gast freut sich über eine Stornorechnung – auch wenn sie berechtigt ist. Die Branche sucht daher zunehmend nach alternativen Modellen, die mehr Flexibilität bringen und zugleich das Risiko minimieren.

3. Renaissance des „Walk-in“

Eine radikale Antwort auf das Problem lautet: gar keine Reservierungen mehr. Was lange als waghalsig galt, erlebt in Städten wie Berlin und München eine erstaunliche Renaissance.

In Berlin setzt Gastronom Sören Zuppke mit seinem „Pluto“ auf totale Offenheit. „Wir fühlen uns selbst sehr hingezogen zu offenen Orten, wo man einfach reinschneit […]. Reservierungen würden dem Ganzen nur die Leichtigkeit nehmen“, sagt er im Interview mit food-service.de. Auch andere Berliner Konzepte – darunter Tagesbars wie „Pinci“ – werben offen mit dem Charme des Spontanen.

In München geht Cihan Anadologlu ähnlich vor. Sein Restaurant hat Reservierungen komplett abgeschafft. Sein Argument: weniger Leerstand, mehr Bewegung, mehr Umsatz. Gegenüber BR24 sagt er: „Ich sehe es nicht als Trend, sondern als Zukunft der Gastronomie.“

Und dann gibt es die Mischformen – prominent vertreten durch das in mehreren Städten aktive Big-Squadra-Konzept. Dort öffnet der Reservierungskalender zwar 30 Tage im Voraus, aber ein signifikanter Anteil der Tische bleibt bewusst für Walk-ins frei. So kommen sowohl planungsfreudige Gäste als auch Spontan-Besucher auf ihre Kosten.

Für Gastronomen liegen die Vorteile auf der Hand:

Allerdings hat das Walk-in-Prinzip auch Schattenseiten. Schlangen vor der Tür sind zwar ein Marketing-Bonus – „so gut, dass man anstehen muss“ –, aber nicht jeder Gast bringt Geduld mit. Besonders Familien oder größere Gruppen bevorzugen Planungssicherheit. Und natürlich funktioniert Walk-in-Only vor allem dort, wo viel Laufkundschaft existiert: Innenstadtlagen, Szenekieze, touristische Hotspots. Für den Landgasthof abseits der Route ist dieses Modell eher keine Option.

4. Hybride Lösungen & Double Seating

Zwischen „nur Reservierung“ und „gar keine Reservierung“ liegt jedoch ein breites Spektrum. Genau hier entstehen derzeit die spannendsten Innovationen: hybride Systeme, die sowohl Verbindlichkeit als auch Spontanität ermöglichen.

Eine Lösung, die sich zunehmend durchsetzt, ist das sogenannte Double Seating. Die Idee: Tische werden für definierte Zeitfenster vergeben, meist 90 bis 120 Minuten. Laut Berichten von wn.de und t-online.de orientieren sich deutsche Betriebe dabei an Modellen aus New York oder London. Ein typisches Setting: 17:30 Uhr bis 19:30 Uhr und 20:00 Uhr bis Schließen. Der Abend wird damit strukturiert und die Auslastung planbarer.

Erstaunlich: Die meisten Gäste akzeptieren diese Zeitfenster gut – solange sie vorher klar kommuniziert werden. Unangenehme Überraschungen, etwa ein plötzlich gesetztes „Time Limit“ am Tisch, sollten natürlich vermieden werden.

Hybride Lösungen gehen noch weiter:

Besonders digitale Tools können helfen, den Andrang besser zu steuern. Systeme mit Echtzeit-Verfügbarkeiten und automatisierten Erinnerungen reduzieren No-Shows erheblich. Für Gäste fühlt es sich dennoch leicht und spontan an – für Sie bleibt die Planung kalkulierbar.

5. Fazit: Flexibilität als neue Währung

Die Zeiten, in denen ein Reservierungsbuch genügte, sind vorbei. Das moderne Gastro-Management erfordert eine dynamische Mischung aus Planung, technischer Unterstützung und der Bereitschaft, Spontanität zuzulassen. Wer heute erfolgreich sein will, denkt Reservierungen nicht als starres System, sondern als Werkzeug, das sich an die Bedürfnisse des Publikums anpasst.

Egal ob Walk-in-Only, Double Seating oder Hybridmodell: Entscheidend ist, dass Sie transparent kommunizieren und das Konzept konsequent durchziehen. Gäste akzeptieren Regeln – solange sie fair und nachvollziehbar sind.

Die kommenden Jahre werden zeigen, wie weit sich der Trend zur Kurzfristigkeit noch ausdehnt. Wenn Sie schon jetzt flexible Strukturen einführen, sind Sie für jede Entwicklung gewappnet – und Ihrer Konkurrenz im Idealfall einen Schritt voraus.

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