Montag, 15. Dezember 2025 GastroNews – Magazin für Profis
Küche & Trends

Vegourmets & Carneficionados: Die neue Polarisierung des Genusses

In vielen Betrieben sitzen sie längst nebeneinander: Gäste, die Gemüse wie ein Sternegericht feiern, und solche, die für ein perfektes Stück Fleisch weite Wege in Kauf nehmen. Trendforscher sprechen von „Vegourmets“ und „Carneficionados“ – zwei scheinbar gegensätzliche Typen, die eines eint: der Wunsch nach radikaler Qualität statt Massenware. Für Sie als Gastronom oder Hotelier stellt sich die Frage: Wie holen Sie beide Gruppen auf einer Speisekarte ab, ohne beliebig zu wirken?

1. Das Ende des Verzichts: Zwei neue Gästetypen

Stellen Sie sich Ihren Gastraum an einem gut gefüllten Samstagabend vor: Am Fenstertisch sitzt eine kleine Runde, die neugierig ein pflanzliches Tasting-Menü probiert, bei dem Sellerie, Kohl und Karotte die Hauptrollen spielen. Am großen Tisch in der Mitte wartet eine Gruppe darauf, dass das bestellte Stück Weiderind aus dem Reifeschrank geholt und am Tisch tranchiert wird. Zwei Welten – und doch suchen alle dasselbe: Genuss ohne schlechtes Gewissen.

Im „Food Report“ der Trendforscherin Hanni Rützler, veröffentlicht vom Zukunftsinstitut, tauchen dafür zwei prägnante Begriffe auf: Vegourmets und Carneficionados. Vegourmets sind Gäste, die keine Fleisch-Imitationen mehr wollen, sondern komplexe, rein pflanzliche Geschmackserlebnisse. Carneficionados essen weiterhin Fleisch, aber bewusst, informiert und mit hohen Ansprüchen an Herkunft und Verarbeitung.

Beiden gemeinsam ist die klare Absage an hochverarbeitete Industriewaren – die berüchtigten Ultra-Processed Foods. Stattdessen zählen Handwerk, Zutaten mit nachvollziehbarer Herkunft und eine Küche, die Haltung zeigt. Der alte Gegensatz „Fleisch vs. Vegan“ verliert an Bedeutung; an seine Stelle tritt eine neue Polarisierung des Genusses: entweder Gemüse als Hauptdarsteller oder Fleisch als kuratiertes Luxusgut.

Für Sie als Gastgeber eröffnet das Chancen. Denn diese Gästegruppen sind bereit, für Qualität und Transparenz mehr zu bezahlen – vorausgesetzt, die Geschichte dahinter stimmt und die Speisekarte macht die Positionierung Ihres Hauses klar erkennbar.

2. Die Vegourmets: Gemüse als Star

In vielen Küchen war Gemüse jahrzehntelang Nebendarsteller: ein bisschen Brokkoli, ein paar Möhren, dazu die „Beilage ohne Fleisch“. Für den Vegourmet wäre das heute ein Grund, nicht wiederzukommen. Er oder sie sucht Gerichte, in denen Gemüse, Hülsenfrüchte und Getreide mit derselben Sorgfalt behandelt werden wie früher das Filet.

Die vegane Küche hat sich dabei deutlich weiterentwickelt. An die Stelle der „Tofu-Wurst“ von früher treten Gerichte wie das „Sellerie-Steak“ – im Salzteig gegart, anschliessend gegrillt oder geräuchert und mit intensiven Saucen kombiniert. Techniken, die lange der Spitzengastronomie vorbehalten waren, werden zunehmend alltagstauglich: Fermentation mit Miso oder Koji schafft Tiefe und Umami, Räuchern und Rösten geben Gemüse eine ernstzunehmende Aromatik, Sous-vide-Garen sorgt für Texturen, die überraschen.

Ein weiteres Schlagwort, das perfekt zum Vegourmet passt, ist „Leaf-to-Root“: die Nutzung der gesamten Pflanze, vom Blatt bis zur Wurzel. Aus Karottengrün wird ein Pesto, aus Brokkolistielen ein Cremesud, aus Zwiebelschalen ein aromatischer Fond. Das spart nicht nur Lebensmittelkosten, sondern zahlt direkt auf den Nachhaltigkeitstrend ein, der gerade für jüngere, urbane Gäste entscheidend ist.

Für Ihre Küche bedeutet das jedoch keinen „leichteren“ Job – im Gegenteil. Ein pflanzliches Gericht, das mit klassischen Fleischgerichten konkurrieren soll, braucht oft mehr Schritte, mehr Vorbereitung und ein sehr bewusstes Aromenkonzept. Oder, sinngemäß formuliert, wie es ein Fine-Dining-Küchenchef auf den Punkt bringt: „Früher war das vegetarische Gericht die Beilage ohne Fleisch. Heute ist der geschmorte Kohlrabi oft das aufwendigste Gericht auf meiner Karte.“

Konzeptionell können Sie sich dabei an drei Leitfragen orientieren:

Wer diese Fragen ernsthaft beantwortet, macht aus „vegan“ auf der Karte keine Zugeständnis-Kategorie, sondern einen zentralen Baustein der eigenen kulinarischen Identität.

3. Die Carneficionados: Fleisch als kuratiertes Event

Auf der anderen Seite des Spektrums steht der Carneficionado – der qualitätsbewusste Fleischesser. Sein Motto lässt sich mit „weniger, aber besser“ zusammenfassen. Fleisch ist für ihn kein Alltagsprodukt mehr, das selbstverständlich auf jedem Teller liegt, sondern ein bewusst gewählter Höhepunkt.

Die offiziellen Zahlen bestätigen diese Entwicklung: Der Pro-Kopf-Verzehr von Fleisch lag in Deutschland 2024 bei rund 53,2 Kilogramm – ein leichter Anstieg gegenüber dem Vorjahr, aber im historischen Vergleich (2018: etwa 61 Kilogramm) weiterhin niedrig. Fachleute werten das als „Zwischenplateau“: Die großen Portionen Billigfleisch verschwinden nach und nach, auch wenn es kurzfristige Schwankungen gibt. Stattdessen gewinnen hochwertige, gut erzählte Fleischgerichte an Bedeutung. Flexitarier, die mal pflanzlich, mal mit Fleisch essen, stellen laut Ernährungsorganisationen in vielen städtischen Räumen längst die Mehrheit der Gäste – und sie sind die Hauptzielgruppe der Carneficionados.

Für diese Gäste zählt jedes Detail: besondere Rassen wie alte Landrassen oder spezielle Schweine- und Rinderrassen, artgerechte Haltung, Futter, Reifung, Zuschnitt. Transparenz ist Pflicht. Der Gast möchte wissen, von welchem Hof das Tier stammt, wie es gehalten wurde und wie lange das Fleisch gereift ist. Ein Metzger oder Lieferant bringt es sinngemäß so auf den Punkt: „Die Gastronomen fragen weniger Filet nach, dafür mehr spezielle Cuts. Die Gäste wollen eine Geschichte zum Fleisch hören – Rasse, Futter, Reifung.“

Typisch für die Carneficionado-Küche sind Konzepte wie „Nose-to-Tail“ und der Einsatz sogenannter „Secondary Cuts“: Bavette, Flank oder Nackenstücke werden so zubereitet, dass sie als Delikatesse wahrgenommen werden. Fleisch wird zum Signature Dish oder zum Sharing-Event, etwa als großes Stück vom Weiderind für den ganzen Tisch.

Für Sie bedeutet das: Ein einziges, hervorragend kuratiertes Fleischgericht mit klarer Herkunfts-Story kann wirkungsvoller sein als fünf austauschbare Fleischoptionen. Voraussetzung ist allerdings, dass Sie den Mut zur Preisgestaltung haben – gutes Fleisch darf und muss seinen Wert zeigen.

4. Best Practice: Die hybride Speisekarte

Die zentrale Frage lautet nun: Wie bringen Sie Vegourmets und Carneficionados auf einer Speisekarte zusammen, ohne Ihre Küche oder Ihre Gäste zu überfordern? Ein Ansatz, der sich abzeichnet, ist die hybride Speisekarte.

Statt in „normal“ und „vegetarisch“ zu trennen – mit den pflanzlichen Gerichten als Anhängsel – denken immer mehr Betriebe von den Hauptzutaten her. Gemüsegerichte stehen im Zentrum der Karte und bilden den roten Faden. Fleisch- und Fischgerichte erhalten eigene, klar gekennzeichnete Bereiche oder funktionieren als hochwertige „Add-ons“.

Ein mögliches Layout könnte so aussehen:

Wichtig ist, dass die Karte nicht suggeriert, pflanzliche Gerichte seien die günstigere, „abgespeckte“ Alternative. Handwerklich anspruchsvolle pflanzliche Küche darf – und sollte – preislich auf Augenhöhe mit Fleischgerichten liegen. Gutes Fleisch wiederum muss seinen Preis haben. Hier hilft es, die Kalkulation offen zu kommunizieren und die Wertschöpfungskette zu erklären.

Für preissensible Zielgruppen, etwa im gutbürgerlichen Gasthaus, muss das nicht bedeuten, dass Sie Ihre gesamte Karte umkrempeln. Oft reicht es, ein wirklich starkes vegetarisches oder veganes Signature-Dish zu entwickeln und ein besonders gut erzähltes Fleischgericht herauszuarbeiten. So signalisieren Sie Modernität, ohne Ihre Stammgäste zu verschrecken.

Impulse und Ideen, wie solche Mischformen konkret aussehen können, finden sich etwa in Übersichten zu aktuellen Gastronomie-Trends, etwa im FoodNotify-Blog zu Gastronomie-Trends 2024. Dort wird deutlich, wie stark Flexitarier inzwischen das Angebot prägen.

Fazit / Ausblick

Die Leitfrage dieses Trends lautet nicht mehr: „Fleisch oder kein Fleisch?“ Entscheidend ist, wie konsequent Sie Qualität, Handwerk und Wertschätzung auf den Teller bringen – und wie gut Sie diese Haltung kommunizieren. Vegourmets und Carneficionados stehen beispielhaft für eine Gästestruktur, die Verzichtsnarrative hinter sich lässt und stattdessen nach kulinarischem Gewinn sucht.

Offizielle Statistiken zum Fleischverzehr zeigen, dass der Konsum langfristig eher sinkt, auch wenn es einzelne Jahre mit leichten Anstiegen gibt. Vertreter von Organisationen wie ProVeg betonen, dass auf Sicht kein Weg an der pflanzlichen Transformation vorbeiführt. Gleichzeitig bleibt Fleisch als kuratiertes Genussprodukt wichtig – sofern Haltung und Herkunft stimmen.

Für Sie als Gastronom oder Hotelier heißt das: Eine klare, glaubwürdige Profilierung ist wichtiger als das „Bedienen“ jeder denkbaren Ernährungsform. Wenn Sie jetzt beginnen, eine Gemüsekompetenz aufzubauen, ein, zwei starke pflanzliche Signature-Dishes zu entwickeln und parallel Ihr Fleischangebot zu verschlanken, aber zu veredeln, sind Sie Ihrer Konkurrenz einen Schritt voraus.

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